Ess-störungen
Zur Person
Die Klientin ist 37 Jahre alt, ledig und hat keine Kinder. Sie hatte letztes
Jahr ca. 3 Sitzungen und vorher weder Therapieerfahrung noch prozeßorientierte
Seminare besucht.
Informationen aus dem Vorgespräch
Die Klientin war eine Frühgeburt und verbrachte einige Zeit im Brutkasten.
Die Klientin litt früher unter Bulimie und bezeichnete sich seit sie sich
nicht mehr erbrach, aber dennoch an Eßattacken litt, als „trockene
Bulimikerin“. Sie nannte es „die Stop-Taste beim Essen nicht finden
können“. Sie litt unter ihrem Aussehen und stellte sich unter enormem
Erfolgszwang. Ihren Eltern zuliebe studierte sie Betriebswirtschaft und schloß
dies mit hervorragenden Leistungen ab. Gleichzeitig suchte sie ihre Freiheit,
indem sie sich eine Zeit lang einem Zirkus anschloß und in dieser Zeit
musikalisch unterwegs war. Später war sie voll berufstätig und spielte
in ihrer Freizeit weiterhin Musik, woraus sich eine Band entwickelte. Dadurch
hatte sie zu viele Projekte, die sie gleichzeitig zu bewältigen versuchte
und gönnte sich Pausen durch Essen. Dabei konnte sie dann schwer aufhören.
Sie spürte auch, daß sich ihre Sucht in andere Verhaltensweisen flüchtete,
wenn sie ihre Eßattacken unterließ und spürte, daß es
nur eine Verlagerung der Sucht ist.
In einer Sitzung im vergangenen Jahr erfuhr die Klientin, daß sie die
Zuneigung und Aufmerksamkeit als Säugling im Brutkasten nur durch die Nahrung
erhielt. Im Verlauf der Sitzung stellte sich heraus, daß die Mutter in
der zweiten Schwangerschaft keine Kraft mehr für sie hatte und es deshalb
zur verfrühten Geburt kam. In der Sitzung ging sie dann zurück zu
dem Punkt, an dem die Mutter die Kraft verlor. Dort sah sie ihre Mutter in der
Schwangerschaft mit ihrer älteren Schwester. Die Mutter bekam eine Gelbsucht.
Die Klientin sah den Grund der Gelbsucht in der Sitzung in dem leiblichen Vater
der älteren Schwester, der fremd ging. In der Sitzung zeigte sich auch
ihre Eßsucht auf der Symbolebene, die sie in einer Sonnenblume sah, die
auf einer Wiese stand. Die Wiese war durchtränkt von Wasser und während
die anderen Pflanzen die Wasseraufnahme stoppen konnten, war das ihrer Blume
nicht möglich. Sie fühlte sich dort auch alleine und beengt. Dies
zeigte sich auch während des Therapieverlaufs.
Die Klientin erhoffte sich mit dem Therapieverlauf, die Ursache ihres Eßverhaltens
aufzulösen.
Zum Therapieverlauf
In den Sitzungen zeigte sich die Einstellung der Klientin gegenüber ihrem
Körper, ihrem Eßverhalten und dem Drang nach Freiheit, die sie als
inneres Kind in der ersten Sitzung im Waldkindergarten verspürte. Hier
zeigte sich auch das Muster „Hungern nach Freiheit“. In der zweiten
Sitzung wird das Thema der unehelichen Schwester thematisiert. Hier erlebt sie
den Vater wieder als einen schwachen Anteil, der von der Mutter nicht voll anerkannt
ist und sich nach ihrer Liebe und Anerkennung verzehrt. Ein Anteil, der sich
als männliches Prinzip immer wieder in Sitzungen zeigt und mit Integration
des Vateranteils langsam gestärkt wird.
In der Sitzung „Erntedankfest“ zeigt sich die Projektion der Klientin,
daß der Vater sich immer um seine Schwester gekümmert hat und sie
ihm dies nun nicht dankt, da sie sich ja nun dem leiblichen Vater zuwendet.
Hier wird das Eifersuchtsthema evident.
In der 3. Sitzung nähert sich die Klientin ihren Beziehungsproblemen. Sie
setzt sich mit dem Thema zwischen Loslassen und dem Geben und Nehmen, was sie
als Licht und Schatten bezeichnet, auseinander. Aus dem anfänglich „verfroschten
Prinzen“ wird ein „fleischlich gewordener Prinz“. Die zögerliche
Annäherung auf einer behutsamen Ebene zeigt sich in der zögerlichen
Haltung der beiden Märchenfiguren, die langsam bis drei zählen und
sich dann behutsam begegnen. Hier wird auch wieder die Projektionsebene der
Klientin zwischen Mutter und Vater sichtbar. Die Prinzessin (das weibliche Prinzip),
die Angst hat eingesperrt zu werden und der Prinz (das männliche Prinzip),
der als Frosch lieber auf der Schulter der Prinzessin verweilt, um unter allen
Umständen in ihrer Nähe bleiben zu können, auch wenn ihn das
in die nicht respektierte Symbolfigur zwingt. Die Pflanze, die die Klientin
vor dem Therapieverlauf bereits einmal wahrgenommen hat, taucht wieder auf.
Hier zeigt sich, daß diese noch kleine flauschige Pflanze, noch schutzbedürftig
ist, der Aufmerksamkeit bedarf und mit Anerkennung und Respekt in einem Milieu
des Tanzes zwischen dem Licht und Schatten (dem Geben und Nehmen) groß
gezogen sein möchte.
In der 4. Sitzung mit dem inneren Mann offenbart sich eine Mißbrauchsituation,
die sie als Vier- oder Fünfjährige erlebt hat. Mit der Unterstützung
der Erwachsenen, ist ihr inneres Kind in der Lage aus der Steifheit in die Handlung
zu gehen und der „Kleinen“ in dieser Sequenz Geborgenheit und Zuversicht
zu vermitteln, Anteile, deren Mangel immer wieder in den Sitzungen deutlich
werden. Auch in einer Situation mit einem Mann aus ihrem Leben spürt sie
diese „Ja-/Nein-Haltung“. Indem sie sich mit der Qualität des
inneren Mannes verbindet, kann sie ihn loslassen.
In der 5. Sitzung mit der inneren Frau wird nochmals die Qualität des inneren
Mannes in Verbindung mit dem inneren Vater deutlich. Der Vater, der sich nach
der Liebe der Mutter verzehrt und die Verantwortung für die Eltern, die
die Klientin als eine Last empfindet. Mit der Qualität des inneren Mannes
kann der Vater die Mutter erstmals loslassen und mit Bearbeitung dieser Projektionsebene
gewinnt die Klientin an Stärkung, während sie die Mutter als übergriffig
im Sinne von „sie will ihr bestes“ empfindet. Am Ende der Sitzung
führt die innere Frau die Klientin vom Essen weg, um ihr eine Ruhepause
zu gönnen. Da dies ein Hauptschauplatz war, wurde dieses Thema nicht mehr
angesprochen.
In der 6. Sitzung setzt sie sich wieder mit den Eltern auseinander. In diesem
Setting legt sie jedoch die Auseinandersetzung zwischen den Eltern in die Hände
einer Instanz (dem Pater, dem sie bereits in einer früheren Sitzung „Erntedankfest“
begegnet ist), die für sie als Mediator und Trainer die schwere Last abnimmt
und sie dadurch die Verantwortung abgeben kann. Hier wird auch die Anforderungen
ihrer Eltern an den Job deutlich, der sich auch beim Vater zeigt, der „nur“
ein Handwerker war.
In der 7. Sitzung verlas die Therapeutin einen anderen Tiefenentspannungstext,
da der Schlüssel des Eßproblems sich im Mangel an Vertrauen, Geborgenheit
und Zuversicht verdeutlichte und die Herausarbeitung dieser Qualitäten
vor der Annäherung an die Thematik „Respekt“ und „Wertschätzung“
voraussetzte. Immer wieder spürte sie während der Sitzung den Mangel
an Halt. Auch auf der Projektionsebene mit der Oma zeigt sich das Muster der
Angst vor Unterversorgung. Mit Auflösung der Projektion zwischen Oma und
Mutter konnte die Klientin nochmals mit dem Bewußtsein in den Fötus
gehen und die Schwangerschaft erleben, in der sie sich gut versorgt fühlt.
Ihre Blume bekommt nun eine Blüte und sie spürt die Qualität
des Loslassens im „Schwimmen in der Blase“. Damit wird Zuversicht
ermöglicht und sie nimmt in dieser Sitzung das erste Mal wahr, gesättigt
zu sein.
Nach dem erstmaligen Erleben des Loslassens und der Zuversicht, begegnete sie
in der 8. Sitzung erstmals dem inneren Löwen, den sie als stark, empfand.
Der Vater empfand jedoch keinen Respekt gegenüber diesem Anteil. Trotz
Ausdruck ihrer Wut mit dem Dhyando, lauter Stimme und anderen Versuchen sich
abzugrenzen, veränderte sich der innere Vater nicht. Die Sitzung verlief
zäh, bis die Klientin eine Mißbrauchsituation sah, in der sie ca.
4 Jahre alt war. In diesem Moment schaltete sich ihr Schutzmechanismus ein.
Der Verstand sagte, daß sie das so nicht erlebt hätte und sie ihrem
Vater damit unrecht täte. Auf die Intervention seitens der Therapeutin,
daß sie ein Gefühl habe, das sich in ihrer Innenwelt in diesem Bild
ausdrücke, gab der Klientin den Mut, die Sitzung fortzusetzen. Der Löwe
konnte jedoch in dieser Sitzung nicht mehr integriert werden.
In den folgenden 3 Sitzungen sind die Hauptschauplätze „Grenzen übertreten
und setzen" und Anerkennung auf unterschiedlichen Ebenen. In der 9. Sitzung
erscheint wieder die Blüte, die in ihrer Mitte wohnt und für ihre
Heilung steht. In der 10. Sitzung geht es auch um Grenzen, allerdings auf einer
anderen Ebene („mit dem Essen hat sie Macht“). In der 11. Sitzung
behandelt sie das Thema Respekt zwischen Vater und Tochter und erfährt
eine Gleichberechtigung, die sie nun mit der Unterstützung des inneren
Löwen erwirbt.
Die Bilder der Klientin in ihrer Innenwelt verschwammen anfangs häufiger,
Interventionen seitens der Therapeutin waren oft notwendig, um den Energiefluß
zu halten und Impulse seitens der Klientin waren anfangs bescheiden. Dies zeigte
sich in den Sitzungen, in denen sie sich niemandem zumuten wollte. Um Innenwelterfahrungen
zu verdeutlichen, stellte die Therapeutin sehr häufig die Verbindung zum
Körpergefühl her, da die Klientin anfangs keine Grenzen wahrnehmen
konnte (verschwommene Bilder) und mit Ankerung des Körpergefühls wuchs
das Bewußtsein ihrer Bedürfnisse. Sie spürte dies oft im Magen
und in der Kehle. Mit wachsender Kommunikationsfähigkeit spürte sie
an diesen Stellen auch Erleichterung.
Feedback der Klientin nach dem Therapieverlauf
Seit der 9. Sitzung (Geburt) hat die Klientin keine Eßattacken mehr. Außerdem
hat sie die Ernährung umgestellt und ißt fast ausschließlich
Vollwertkost und hat zudem das Rauchen aufgegeben.
Sie hat ihr Angestelltenverhätlnis aufgegeben und sich mit der Musik selbständig
gemacht.
Sie spürt nun den Respekt im Umgang mit Männern und hat erkannt, daß
sich ihr Verhalten dadurch verändert hat.
Die Klientin ist nun auch in der Lage, ihre Bedürfnisse zu erkennen und
ihre Wünsche klar zu formulieren.
Von anderen hat sie die Rückmeldung erhalten, daß sie „weicher“
geworden sei.
Das Thema „Selbstwert“ ist noch nicht auf allen Ebenen gekippt.
Wenn sie sich klein und ohne Selbstwert fühlt, stellt sie ihre inneren
Eltern hinter sich und spürt, wie sie dadurch wächst. Dieses Thema
möchte sie sich in einer weiteren Sitzung anschauen.